andreas ems hielt gestern einen diamanten in den haenden. jetzt liegen diese an die seite seines koerpers gepresst, die fingern aneinander gelegt. glaserhaende sind ruhig. zweimeterfuenfundzwanzig mal einsneununddreissig. zwoelfmal geschnitten, unpoliertes glas.
er kann nicht durchschauen bei der arbeit. das machen die kollegen. andreas ist dann naechste woche dran.
rotgeschlagene augen sieht man, auch wenn er sich selten dreht. er schlaeft schlecht. heute ist ueberstundenausgleich. beim gehen zieht er einen keil in den passantenschwarm. bewegt sich auf der richtigen seite, der vordermann gibt die richtung vor, wird dann ueberholt. die schultern beruehren sich selten, die blicke nicht. sein schneller schritt ist absicht, keine aggression, nur ab und zu greift seine hand durchs haar, eine eilige geste , die er vor jahren in einem film gesehen hat. er weiß nicht, dass er sich an menschen spiegelt, weil er spiegel nicht leiden kann. er korrigiert seine haltung, unterdrueckt die scham bei gleicher geste, die er am gegenueber erkennt. bei der arbeit ist es anders. am schneidetisch wird die platte in routine fixiert, seine bewegungen sind dann geometrische figur, er hat scharniere statt knorpel im koerper. hier unter menschen wirkt er beinah ungelenk in seiner steifheit. ems geht auf dem fliessband, auf dem hier alle gehen. die strasse faltet an den seiten ihre kostbarkeiten aus. andreas muss sich nicht die augen schuetzen, er denkt an etwas anderes, schaut nicht aus sich heraus. bleibt mit dem blick an seiner hornhaut haengen, schliesst ploetzlich sehr kurz die haende. macht faeuste mit weißen knoecheln, sein ausdruck immer noch in entfernung.
im kaufhaus auf der rolltreppe ist er einer der wenigen, die das prinzip verstanden haben. er muss sich durch die blockaden bitten. die anderen schauen ihn an, als haetten sie erst gerade bemerkt, dass sie unter menschen stehen. ems kann sich nicht entscheiden, ob er mit seiner koerpergroesse umgehen kann. auf der fahrt ins erste stockwerk handelt er entschlossen, ueberholt die paare von menschen. hinter den naechsten bleibt er stehen, als haette er seine gutscheine eingeloest. als kind hat er laub geharkt, der vater zeigt ihm mit rauchender hand als belohnung, wie man kartenhaeuser baut.auf dem kuechentisch hat ihm die zigarette gezeigt, wie man gebauede erschafft. die ruhige hand liegt in der familie. der vater ist schon zehn jahre tot, mit dem bruder spricht er alle paar monate. zu weihnachten rufen sie sich an, ein anderes fest wird selten gefeiert. der bruder ist chirurg, operiert in diesem moment. andreas ems steht in der gemueseabteilung und laesst eine gurke auf den haufen zurueckgleiten. sie kostet beinah zwei euro. er kauft eine flasche wasser mit kohlensaeure.die muenzen holt er erst direkt an der kasse heraus, damit sie nicht heiss werden. er kann sich nicht vorstellen, dass die kassiererinnen diese hitze moegen.
in der spielwarenabteilung geht er einge zeit hin und her. er sucht etwas. er kann sich nicht an seine lieblingsfarbe erinnern. er fragt sich, was das heisst, eine lieblingsfarbe zu haben. der kopf, in dem der gedanke steckt, ragt ueber die regale hinaus. ems hat zwei spielzeuge mitgenommen , er spricht mit einer verkaeuferin, legt dann eine puppe zurueck. er bezahlt mit einem geldschein, der wie gebuegelt wirkt.
beim hinaustreten aus dem gebauede atmet er tief ein und aus. raucht von einer marlboro drei zuege, wirft sie dann weg. ems hat das rauchen vor drei wochen aufgegeben. eigentlich hat er kein starkes verlangen danach, es summt nur im schaedel. es ist keine sache des willens, es ist eine sache der zeit. ein arbeitskollege hat ihm vor monaten erzaehlt, dass marlboro urspruenglich eine frauenzigarette gewesen ist und erst nach dem krieg das cowboy-image bekam. ems konnte es nicht glauben, obwohl er nie cowboy werden wollte. auf dem hof hatten seine eltern zwei pferde gehalten. die westernromantik ist fuer staedter, hatte er gedacht und ist spaeter in die stadt gezogen, um arbeit zu finden. jetzt sieht ems an den gebaeuden herab und weiß welche fassade mit dem glas seiner firma bespannt ist. er ist stolz, trotzdem trinkt er das wasser in grossen schluecken, als wuerde er sonst verdursten.
ems geht an einem imbiss vorbei, entscheidet sich um. die wurst isst er im stehen. er denkt daran, dass glas aus sand gemacht wird und wieviel schweine es wohl geben muss, damit alle in der stadt in diesem moment eine wurst essen koennen. er braucht nur zwei oder drei bissen. schlingt, laesst die pappe auf dem stehtisch liegen und eine serviette herunterfallen. ems sucht eine telefonzelle, die muenzen annimmt. er erreicht den teilnehmer oder die teilnehmerin nicht.
ems wird vom eingang in die ubahn verschluckt. ems wollte architekt werden. du bist selbst schuld, sagte der bruder vor monaten am telefon. schuld kennt andreas nur aus dem religionsunterricht in der schule, er tut nichts kriminelles. er stellt sich sachen nur vor. wie es waere mit dem teppichmesser durch ein gedraenge zu laufen. seitlich gehalten, so dass er in den massen verschwaende, waehrend sich hinter ihm die menschen an die verletzung griffen. dann muss er laecheln und an das messer in der jackentasche denken. es ist noch eingeschweißt.
in der ubahn nimmt er eine zeitung vom sitz und liest. er ekelt sich nicht vor dem schmutz auf, sondern in der zeitung. ems hat kein problem eine toilette mit blosser hand und lappen zu putzen. er muss dazu keine handschuhe anziehen. hier in der bahn oeffnet ems das boulevardblatt gerade weit genug, dass er den kopf hineinstecken kann. er liest die kleinanzeigen und kontaktgesuche, obwohl er weiß, dass er sich nicht auf eine annonce melden wuerde. ausserdem nimmt er an, dass nur uninteressante menschen inserieren. er probiert einen text ueber sich zu formulieren. dabei fallen ihm nur aeussere umstaende ein. seine erscheinung, sein beruf und die dinge, die er besitzt. er denkt an seine tochter.
die schritte am anfang des parks sind noch eilig, dann wird ems langsamer. er scheint beinah schraeg zu gehen. an einer bank wartet seine exfrau mit seiner tocher. als das kind ihm entgegenlaeuft, geht er in die hocke. jetzt glaubt man erst, dass er kniegelenke hat. die tochter fluestert ihm ins ohr, so bleiben sie einen augenblick kopf an kopf gelehnt. ems moechte die frau begruessen. erst streckt er ihr die hand entgegen, sie zoegert, stellt stattdessen ihre tasche, die sie zwischen den beinen abgestellt hatte, auf die bank. schaut dann zur seite. er uebergeht es. die tochter zappelt an seiner hand, nimmt ihm die anspannung. die mutter laesst die beiden einige schritte vorausgehen, damit sie alle besser atmen koennen. beim naechsten telefongespraech wird er seinem bruder sagen, dass dieser seinen mund halten soll. [pn]
Kategore: erzaehlung
Schlagworte: andreas ems, einsamkeit, sozialromantik
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