Texte mit Schlagwort‘andreas ems’



andreas ems zieht um

andreas ems stellt mit den augen seine bilder auf, sitzt dann im zimmer, das jetzt neu gestrichen ist. das weiss birgt platz fuer neue bilder, nur der boden ist bedeckt von folie, die wellen wirft, als haette er kiesel in den boden eingeworfen. ems nimmt die brille ab, hinterlaesst einen fingerabdruck auf dem linken glas. er schaut auf die fingernaegel, urteilt ein wenig darueber. wachsen sie nachts oder tagsueber schneller? er steht auf, wiederholt sich, um die stoerenden dinge vom boden aufzusammeln. die malerrolle, die pinsel und eimer traegt er aus dem raum hinaus, kehrt zurueck. auf allen vieren blaest er den staub von der folie herunter. er will nur die formen sehen, auch wenn sie nicht glattzubuegeln ist. er koennte es tun, er weiss es. doch soviel anstand will er in sich behalten, zwingt sich darueber wegzusehen, dass sie ihm nie perfekt erscheinen wird. sie soll reiner versuch bleiben, vulgaer organisch, wellen, die nicht in bewegung sind. staubmeer. als er die leuchte holen will klingelt das telefon im flur. ems eilt nicht. jemand hat sich verwaehlt und haelt ihn auf mit entschuldigungen. brav bleiben, denken beide. der ritus ist erschreckend. der anrufer holt aus, hat viele worte fuer den fehlgriff. er haette auch einfach bleiben koennen, kurz. sie wissen schon-sagen, dann waere es vorbei gewesen. ems muss den kopf zur seite drehen bei seiner ausgedachten freundlichkeit. ist es fuer dich das erste mal ? fragt er und legt den hoerer auf. die aermel sind ihm vor aufregung abgerutscht. er krempelt sie wieder auf. gleichgeschickt mit beiden armen. im angemalten raum prueft er scheu die spuren auf der wand, die kantenverlaeufe in den zimmerecken, die gleichmaessigkeit der aufgetragenen farbe. wie ein negativkuenstler, der sich selbst in neutralitaet verstecken will. nicht als haltung, sondern aus angst sich zu verlassen. die halogenlampe faellt aus, laesst ihn zurueck mit dem einfallenden kartonquadratlicht aus dem flur. ems geht zum telefon zurueck, dreht mit dem finger in der waehlscheibe, die am rand gesplittert ist. er hatte das telefon vor jahren auf einem hallenflohmarkt gekauft, den er selbst lieber als basar bezeichnete. im sommerzwielicht, unter den fallenden regalen der haendler, brach in ihm ein schuldbewusstsein auf, alte geraete stuermisch zu bewundern. er hatte damals durst im hals und anspannung im geist, da er es schwer ertragen konnte, sich eine schwaeche einzugestehen. besonders apparate, die nach mehr als fuenfzig jahren noch funktionierten schaute er gerne an. sich in den formen aufzuloesen, an matten farben zu erdruecken tut ihm gleichzeitig gut und weh.ems wundert sich ueber sich selbst und legt die hand an die altmodische gabel. hebt den hoerer und schliesst beim freizeichen die augen. er empfindet sich ploetzlich als klischee. er braucht keine steckenpferde. ems entzieht der agierenden hand die muskelspannung, laesst den hoerer achtlos auf den boden fallen. retrospektive. er kaufte damals, wie er immer kaufen wuerde. grundlos in sich vergessen. die schwarze schnur des telefons hatte er mit ausladenden schlaegen einwickeln muessen. in eine tuete gesteckt. sich selbst in einen bus gesteckt. eine halbe stunde fahrt geschluckt. einen fussmarsch von der station, die treppen rauf, die schluesselsuche und das ablegen. du hast mich viel gekostet, viel mehr, als ich bezahlt habe, sagt er jetzt laut und hoert seine stimme seit langer zeit ausgesprochen. er lacht und steigt ueber die kartons in das malzimmer zurueck.

der flohmarkt war in einer anderen stadt. die neue ist kleiner und enger, hier wird der himmel nachts noch dunkel und nicht erleuchtet, nicht lichtverschmutzt. ems schaut aus dem fenster. er kriegt kopfschmerzen. natuerlich schaue ich aus dem fenster und nicht durch die wand. an der wand haengen vielleicht bilder oder sie bleibt leer. bei jeder erfindung die der mensch macht, erfindet er auch die dazugehoerigen probleme. erst ist die freude gross bei eisenbahn und gluehbirne. dann schaemt der mensch sich fuer das zugunglueck, oder weint, weil er die sterne nicht mehr sehen kann. jetzt eine stunde spaeter will ems doch mit dem fremden sprechen, der sich verwaehlt hat. die raeume werden abends groesser. er geht die wohnung im dunkeln ab, da er keine fassungen gekauft hat. im schlafzimmer stehen kartons und die wenigen moebel, die er besitzt. ein nierentisch auf drei beinen, auf ihm papiere. zwei buecherregale liegen unaufgebaut auf den dielen, die dazugehoerigen gebundenen gedanken sind noch eingesperrt. ems zieht aus dem stapel ein buch heraus, blaettert einmal hindurch. sieht den toten autor neben sich stehen und ueber die schulter schauen. es sind keine eselsohren darin, sagt ems, auch keine flecken. hab keine angst. beinah nur literatur von toten in den haenden, er weiss nicht ob es gut ist oder nicht. ihm wird kalt. in der kueche steht er herum, haelt das brillenglas ein drittes mal unter den hahn, wischt, schaut. das wasser perlt. die kopfschmerzen sind verschwunden. ems traegt keine uhr, merkt aber, dass es spaet ist. er legt sich nicht aus muedigkeit auf die matratze, sondern aus vernunft. er liegt lange wach. [pn]

andreas ems in der ubahn

ems kann es erst nicht glauben, aber dann erkennt er, wie eine dicke jugendliche mit kapuze an der eingangstuer steht und ein rohes ei trinkt. sofort sieht er die huehner aus kaefighaltung, als sie die schale absetzt und kleine blasen schaumig aus dem loch schlagen. [pn]

andreas ems im baumarkt

E : ems
V1 & V2 : verkaeufer

ems sucht etwas, er steht bei den saegen.

E : haben sie eine mit kleinem, wie heisst es, zahn ?

V1 : warten sie, ich hole einen kollegen.

ems wartet, ein verkaeufer mit brille tritt an ihn heran.

E : mir wurde gesagt, dass ich mit dieser saege auch duenne eisenrohre schneiden kann ?

V2 : damit koennen sie selbst knochen saegen.

E : wie meinen sie das ?

V2 : robust. fuer 2.99.

E : sie wollten doch noch etwas sagen. wie koennen sie jetzt gehen? nachdem sie soetwas gesagt haben?

der verkaufer geht. manchmal verlaesst ems der mut.

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andreas ems sagt

anna war schon immer so schlank gewesen, dass wir uns am anfang nichts dabei dachten, als sie ihre tage nicht bekam. eine woche spaeter , ich war gerade auf dem heimweg von der arbeit, rief sie an und bat mich einen test zu besorgen. sie wollte es jetzt wissen, das sagte sie so, als haette ich nichts damit zu tun. damals dachte ich, sie sei nur aufgeregt gewesen. ich fuehlte nichts, dazu war es zu abstrakt. in der apotheke stand ich herum und wunderte mich ueber die verschiedenen arten und preise der schwangerschaftstester. hatten einige mehr funktionen? wie kann man aus allem ein geschaeft machen ? die ironie wollte, dass eine marke tests gerade im angebot zu kaufen war. wie erbsendosen im markt standen sie auf einem tisch gestapelt. ich hatte kein bargeld dabei, weil ich es fuers essen in der pizzeria ausgegeben hatte. die kantine hatten sie uns damals schon zwei monate dichtgemacht. ich bezahlte den test mit der karte, das lesegeraet streikte so lange, bis jemand aus dem hinterraum geholt wurde. fuenf euro neunundneunzig, die dein leben veraendern koennen. den kassenbon eingesteckt. jede handlung hinausgezoegert, am liebsten haette ich die apotheke nicht mehr verlassen, nicht um anna im stich zu lassen, sondern die situation zu verhindern. der apotheker schaute neutral, so wie sie es wahrscheinlich alle beigebracht bekommen. zu jedem medikament eine leidensgeschichte, zu jedem schwangerschaftstest eine unglueckliche familie. ich war ploetzlich wuetend auf diesen fremden mann, seinen weissen sterilen kittel, waehrend ich mit einem kleinen karton, auf dem ein gefaelliges model abgebildet war, vor ihm stand. gleichzeitig dachte ich an anna, die zu hause wartete und die wut war wieder weg. draussen auf der strasse hatte sich nichts geandert. im bus las ich den beipackzettel. gibt es soetwas wie stolze furcht ? ich wusste nicht, wie ich mich fuehlen sollte. ich dachte gleichzeitig an den streit zwei tage zuvor und an das lachen von ihr. daran, dass ich ihr nicht richtig zugehoert hatte in den letzten wochen.

als ich in die wohnung kam, sass sie lesend in der kueche. sie schien nicht betruebt oder aufgewuehlt. ich legte die schachtel leise auf den tisch. danke. mit kleinen schnellen schritten ging sie ins bad. wir haben beim warten nicht so viel geredet, jedenfalls erinnere ich mich nicht an etwas besonderes, wir waren eher still. was soll man in einer solchen situation sagen ? haben eine nach der anderen geraucht. nach einigen minuten stand sie auf und ich folgte ihr, obwohl ich spuerte, dass sie es zuerst wissen wollte. ich stand auf der schwelle und sah sie an. anna kippte den indikator gegens licht. dann gab sie ihn mir, sie war sich nicht sicher. im nachhinein weiss ich jetzt wieso es teure und billige tests gibt, die billigen kann man kaum ablesen. sie war schwanger. obwohl sie noch zum arzt gehen wollte, um sicherzugehen, wussten wir es beide. wir umarmten uns, draussen fuhr ein schwerer lkw vorbei. es war ein ganz anderes gefuehl sie jetzt zu umarmen, doch ich spuerte, dass sie mit offenen augen ins leere schaute.

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andreas ems

andreas ems hielt gestern einen diamanten in den haenden. jetzt liegen diese an die seite seines koerpers gepresst, die fingern aneinander gelegt. glaserhaende sind ruhig. zweimeterfuenfundzwanzig mal einsneununddreissig. zwoelfmal geschnitten, unpoliertes glas.
er kann nicht durchschauen bei der arbeit. das machen die kollegen. andreas ist dann naechste woche dran.

rotgeschlagene augen sieht man, auch wenn er sich selten dreht. er schlaeft schlecht. heute ist ueberstundenausgleich. beim gehen zieht er einen keil in den passantenschwarm. bewegt sich auf der richtigen seite, der vordermann gibt die richtung vor, wird dann ueberholt. die schultern beruehren sich selten, die blicke nicht. sein schneller schritt ist absicht, keine aggression, nur ab und zu greift seine hand durchs haar, eine eilige geste , die er vor jahren in einem film gesehen hat. er weiß nicht, dass er sich an menschen spiegelt, weil er spiegel nicht leiden kann. er korrigiert seine haltung, unterdrueckt die scham bei gleicher geste, die er am gegenueber erkennt. bei der arbeit ist es anders. am schneidetisch wird die platte in routine fixiert, seine bewegungen sind dann geometrische figur, er hat scharniere statt knorpel im koerper. hier unter menschen wirkt er beinah ungelenk in seiner steifheit. ems geht auf dem fliessband, auf dem hier alle gehen. die strasse faltet an den seiten ihre kostbarkeiten aus. andreas muss sich nicht die augen schuetzen, er denkt an etwas anderes, schaut nicht aus sich heraus. bleibt mit dem blick an seiner hornhaut haengen, schliesst ploetzlich sehr kurz die haende. macht faeuste mit weißen knoecheln, sein ausdruck immer noch in entfernung.

im kaufhaus auf der rolltreppe ist er einer der wenigen, die das prinzip verstanden haben. er muss sich durch die blockaden bitten. die anderen schauen ihn an, als haetten sie erst gerade bemerkt, dass sie unter menschen stehen. ems kann sich nicht entscheiden, ob er mit seiner koerpergroesse umgehen kann. auf der fahrt ins erste stockwerk handelt er entschlossen, ueberholt die paare von menschen. hinter den naechsten bleibt er stehen, als haette er seine gutscheine eingeloest. als kind hat er laub geharkt, der vater zeigt ihm mit rauchender hand als belohnung, wie man kartenhaeuser baut.auf dem kuechentisch hat ihm die zigarette gezeigt, wie man gebauede erschafft. die ruhige hand liegt in der familie. der vater ist schon zehn jahre tot, mit dem bruder spricht er alle paar monate. zu weihnachten rufen sie sich an, ein anderes fest wird selten gefeiert. der bruder ist chirurg, operiert in diesem moment. andreas ems steht in der gemueseabteilung und laesst eine gurke auf den haufen zurueckgleiten. sie kostet beinah zwei euro. er kauft eine flasche wasser mit kohlensaeure.die muenzen holt er erst direkt an der kasse heraus, damit sie nicht heiss werden. er kann sich nicht vorstellen, dass die kassiererinnen diese hitze moegen.

in der spielwarenabteilung geht er einge zeit hin und her. er sucht etwas. er kann sich nicht an seine lieblingsfarbe erinnern. er fragt sich, was das heisst, eine lieblingsfarbe zu haben. der kopf, in dem der gedanke steckt, ragt ueber die regale hinaus. ems hat zwei spielzeuge mitgenommen , er spricht mit einer verkaeuferin, legt dann eine puppe zurueck. er bezahlt mit einem geldschein, der wie gebuegelt wirkt.

beim hinaustreten aus dem gebauede atmet er tief ein und aus. raucht von einer marlboro drei zuege, wirft sie dann weg. ems hat das rauchen vor drei wochen aufgegeben. eigentlich hat er kein starkes verlangen danach, es summt nur im schaedel. es ist keine sache des willens, es ist eine sache der zeit. ein arbeitskollege hat ihm vor monaten erzaehlt, dass marlboro urspruenglich eine frauenzigarette gewesen ist und erst nach dem krieg das cowboy-image bekam. ems konnte es nicht glauben, obwohl er nie cowboy werden wollte. auf dem hof hatten seine eltern zwei pferde gehalten. die westernromantik ist fuer staedter, hatte er gedacht und ist spaeter in die stadt gezogen, um arbeit zu finden. jetzt sieht ems an den gebaeuden herab und weiß welche fassade mit dem glas seiner firma bespannt ist. er ist stolz, trotzdem trinkt er das wasser in grossen schluecken, als wuerde er sonst verdursten.

ems geht an einem imbiss vorbei, entscheidet sich um. die wurst isst er im stehen. er denkt daran, dass glas aus sand gemacht wird und wieviel schweine es wohl geben muss, damit alle in der stadt in diesem moment eine wurst essen koennen. er braucht nur zwei oder drei bissen. schlingt, laesst die pappe auf dem stehtisch liegen und eine serviette herunterfallen. ems sucht eine telefonzelle, die muenzen annimmt. er erreicht den teilnehmer oder die teilnehmerin nicht.

ems wird vom eingang in die ubahn verschluckt. ems wollte architekt werden. du bist selbst schuld, sagte der bruder vor monaten am telefon. schuld kennt andreas nur aus dem religionsunterricht in der schule, er tut nichts kriminelles. er stellt sich sachen nur vor. wie es waere mit dem teppichmesser durch ein gedraenge zu laufen. seitlich gehalten, so dass er in den massen verschwaende, waehrend sich hinter ihm die menschen an die verletzung griffen. dann muss er laecheln und an das messer in der  jackentasche denken. es ist noch eingeschweißt.

in der ubahn nimmt er eine zeitung vom sitz und liest. er ekelt sich nicht vor dem schmutz auf, sondern in der zeitung. ems hat kein problem eine toilette mit blosser hand und lappen zu putzen. er muss dazu keine handschuhe anziehen. hier in der bahn oeffnet ems das boulevardblatt gerade weit genug, dass er den kopf hineinstecken kann. er liest die kleinanzeigen und kontaktgesuche, obwohl er weiß, dass er sich nicht auf eine annonce melden wuerde. ausserdem nimmt er an, dass nur uninteressante menschen inserieren. er probiert einen text ueber sich zu formulieren. dabei fallen ihm nur aeussere umstaende ein. seine erscheinung, sein beruf und die dinge, die er besitzt. er denkt an seine tochter.

die schritte am anfang des parks sind noch eilig, dann wird ems langsamer. er scheint beinah schraeg zu gehen. an einer bank wartet seine exfrau mit seiner tocher. als das kind ihm entgegenlaeuft, geht er in die hocke. jetzt glaubt man erst, dass er kniegelenke hat. die tochter fluestert ihm ins ohr, so bleiben sie einen augenblick kopf an kopf gelehnt. ems moechte die frau begruessen. erst streckt er ihr die hand entgegen, sie zoegert, stellt stattdessen ihre tasche, die sie zwischen den beinen abgestellt hatte, auf die bank. schaut dann zur seite. er uebergeht es. die tochter zappelt an seiner hand, nimmt ihm die anspannung. die mutter laesst die beiden einige schritte vorausgehen, damit sie alle besser atmen koennen. beim naechsten telefongespraech wird er seinem bruder sagen, dass dieser seinen mund halten soll.  [pn]