erklaere den hunger der welt meinem sohn & erklaere dem hunger der welt meinen sohn



statt spritzen oder hundescheisse, liegen plastikverpackungen von suessigkeiten im spielplatzsand. niemand hebt sie auf, solange das fernsehen keine bedrohungsszenarien daran formuliert. die medien berichten nicht ueber ereignisse, sondern beobachterinteressen. parallele fusstellung. ein kinderspielplatz ist kein guter ort um moral zu verdauen. ich schaue von der zeitung auf und sehe caspar an den roten seilen der kletterspinne hochsteigen. eine vorsichtige mutter faellt mir ein, die ihrer tochter hier einst einen sturzhelm aufsetzte. das kleine maedchen hat sich mit dem kinnband stranguliert. die zeitungen druckten damals ein verschwommenes, mit teleobjektiv aufgenommenes, photo auf die frontseiten. die scheinbare zurueckhaltung erwies sich als reine notwendigkeit, da der reporter aus dem fahrenden wagen herausschiessen musste. er war zu einem wohnungsbrand unterwegs. ich falte die zeitung zusammen, die ich als unterhaltung gekauft habe und versuche den gedanken erfolglos auf mich anzuwenden. im hintergund bekommt caspar ein apfelachtel aus einer transparenten tupperdose geschenkt. die fremde frau nickt meine erlaubnis aus der ferne ab. in geteilten fruechten koennen keine rasierklingen stecken, denke ich. pferdeschwanz ist ein merkwuerdiges wort fuer eine frisur. pony? sie haelt den behaelter dicht am ruecken, als sie mit den kindern spricht. zu hunden soll man sich ebenfalls herunterbeugen. oft verstehe ich die elternsolidaritaet nicht. sie scheint wie das vorbeilassen artgleicher pkws beim reissverschlussprinzip, endet im falsch verstandenen besitzdenken. die apfelfrau schaut wieder zu mir, diesmal ohne fruchtfragen. ein windstoss entkleidet die baeume dramatisch hinter ihr. der brief von dir steckt in meiner manteltasche und sticht mir in die seite.

caspar veliert spaeter einen seiner kleinen handschuhe. wir drehen deshalb eine runde ueber den umzaeunten platz. kinderkleidung ist immer zu bunt, als ob farben immer gute laune schaffen wuerden. die gestalter, die sich darauf spezialisieren, wirken meist selbst zurueckgeblieben. froehliche bienen und baeren sind wie parteiabzeichen auf pullover und jacken aufgedruckt. die erzwungene niedlichkeit provoziert nur ein abfaelliges verhalten gegenueber menschen, die noch zu schwach sind grosse arme festzuhalten. es soll gewaehrleisten, das jeder seinen sichtbaren status bekommt. verhaltenshilfen, die sich fortlaufend durch ein leben ziehen. kategorienbaeume fester betrachtungsweisen wachsen. muendigkeitsversprechen werden eingezogen. ich bleibe stehen und falte den brief, damit meine bitterkeit sich ebenfalls halbiert. caspar schweigt konzentriert bei der suche. wir stehen jetzt dicht bei der blonden apfelfrau, die kreuzwortraetsel per bleistift loest.

tausende kilometer entfernt entern dunkelhaeutige piraten im golf von anden ein tankschiff. schwer bewaffnete mittzwanziger, aufgepeitscht vom kathkauen. mit geschwollenen backen klettern sie aus den schnellboten. die reedereien empfehlen den besatzungen glasflaschen an deck zu zerschlagen, da die eindringlinge oft barfuss auf das schiff kommen. die armen bastarde. ich muss ueber das poetische bild nachdenken, als ich den fernsehbeitrag sehe. auf dem fussballfeldgrossen deck laufen unterbezahlte asiaten in dichter reihe und lassen scherbenteppiche zurueck. verschweissen stahltueren, richten hochdruckwasserstrahlen auf die baeuche der verzweifelten. sie sind selbst verzweifelt, da sie ihre familien alle vier monate sehen. sie stehen an der modernen akustischen kanone, die schmerzhaften laerm nach unten verteilt. die piraten tragen schon lange stofflappen in den ohren. der konflikt bleibt unter armen. der kapitaen kann aus seiner adlerperspektive oft nur schwer erkennen, wer zu seiner besatzung gehoert. manchmal nimmt er ein fernglas zu hilfe, waehrend er den vorfall meldet. am horizont erscheinen gruene armeehubschrauber, die schauen, aber nicht handeln duerfen.

die apfelfrau bietet mir blauen tee aus einer thermoskanne an, fordert mit einer geste ein hinsetzen dazu. mein kopf ist noch wuetend leer. deshalb sage ich ihr, das thermoskanne eigentlich ein firmenname ist, der zum synonym fuer hitze- und kaeltespeichernde baelter geworden ist. wahrscheinlich will ich das sie ihre handlung bedauert. ihr blick faellt ringsuchend auf meine haende. ich strecke meine finger dabei. sie erroetet leicht. immerhin. wir trinken das lauwarme abwechselnd aus dem unhandlichen deckelbecher. welches ist ihres? frage ich ploetzlich und beisse mir auf die zunge. sie wischt sich eine straehne fort. die restlichen haarwellen rollen fuer eine zugabe zurueck. meine tochter ist tot, antwortet sie und schuettet den becher mit definierten bewegungen sauber. caspar kommt mit beiden handschuhen zurueckgelaufen, bleibt aber stehen, als er uns sieht. kinder sind konsequent aufmerksam, nicht nur wenn ihnen danach ist.

autohupen. ich schaue nach vorne und sehe beleuchtete werbewagen auf der strasse entlangfahren. der beruf der fahrer ist es die koepfe von fremden vollzustopfen. banale kritik, denke ich. spaeter muss ich nahrungsmittel kaufen, um sie selbst in oeltaschen zu stecken. turn turn turn, singen die byrds auf dem piratenmutterschiff. meine nervenzellen sind ueberreizt und erschoepft. die apfelfrau schuettelt leicht die stirn, um mir die leeren worte von den lippen zu nehmen. caspar steht jetzt emphatisch daneben und beruehrt leicht ihren arm. als ich sie erleichtert laecheln sehe, stehe ich auf, um caspar von der bank wegzuzerren. nicht jeder moment darf zum makabren klischee verkommen. das hat diese frau nicht verdient. niemand verdient tausendfach gesehenes um sich zu haben. obwohl ich mich nicht mehr umdrehe, glaube ich zu wissen, dass sie mich versteht. [pn]