vicodin
als sie aufwacht ist der raum noch voller dunst. automatisch springen die filter an, die luft wird getauscht. guten morgen, guten morgen, die stimme wiederholt die worte in einem langgezogenen stueck. sie denkt an einen alten tag , in der schule, sie weiss nun, dass man das geraeusch der kreide schon im kopf erwartet, einige sekunden frueher, bevor die kreide an der tafel reisst. sie stellt die schwachen beine auf den boden. es regnet, faellt in stecknadeln. sie hat kein brot im haus, trinkt einen kaffee. ihre medikamente nimmt sie mit einem glas saft vom vortag. er ist warm, das kann sie nicht ausstehen. in ihrem mantel ist nichts, sie stellt fest, dass sie noch platz hat. auch beim atmen macht es ihr keine probleme. ihre haare sind wirklich schoen. sie denkt es sich, obwohl sie den traum vergessen hat. deshalb nimmt sie beim herausgehen zwei lange messer und steckt sie in die innentaschen.
draussen ist es hell. als waere ein film ueberbelichtet worden. zwei oder drei blenden. an der ecke trinkt sie ihren zweiten kaffee. wirft angewiderte blicke an die passanten. fast alle tragen weisse augen. huebsch, huebsch. die messer druecken nicht. sind angenehm an der haut. die ist ebenfalls schoen, das sagt ihr spiegel. in dem styroporbecher schwimmen fliegen, gleich zwei. der kaffee ist billig, aber sie laesst ihn stehen. die jahreszeiten wurden abgeschafft, es wird gezaehlt. es ist alles eine nummer. die dystopie ist wirklichkeit, kam schleichend. so dass alle sie gefressen haben. das fernsehen steckt man sich noch nicht in den schaedel, man ist noch nicht soweit. konventionell brennt es sich auf die retina. gefressen wird immernoch aus der tuete und mit heissen wasser gekocht. sie ist erstaunt ueber ihre kritikfaehigkeit. sie kann noch denken. wagen fahren vorbei, an ihnen pulsieren die bilder. es ist relativ still. heute muss ein konzerntag sein, denn es sind mehrere sonnen an den himmel projeziert. von ihrer position kann sie drei sehen. der kellner kommt vorbei und wischt den tisch wieder weiss. er traegt weiss, die waende sind weiss, seine augen. er fragt ,ob sie kaffee will. eine digitaluhr an der wand zeigt absteigende zahlen. solange ist der kaffee frei. sie schaut ihn nicht an. schaut auf die strasse. er wartet, dann dreht er ab.
vorbei an den fontaenen, die u-bahn ist schon seit wochen gesperrt. das gehen tut ihr gut. sie fuehlt, dass die klingen warm geworden sind. sie ueberholt. sie hat magenschmerzen und geht in eine pharmazie, die medikamente sind kostenlos und ohne geschmack. draussen schreit eine menschenmasse, doch nur wenige drehen ihren kopf. als sie heraustritt sind schwarze rettungswagen vorgefahren. und graues militaer. sie sperren die strasse und den platz, weil ein lastwagen umgefallen ist. auf dem boden um die unfallstelle liegen weisse puppen aus prozellan. dort wo die haut des tankes beschaedigt ist sinkt weisser dampf auf die strasse. die menschen werden mit stockschlaegen zurueckgedraengt. es ist ein stickstofftransport. einige augenblicke spaeter sind die hubschrauber am himmel. ihre rotoren sind gewaltig, aber lautlos. sie werfen nur schatten. sie schliesst den mantel und zieht die maske ueber das gesicht. schnee faellt in grossen mengen. puppen, die um diese uhrzeit fettbecher loeffeln oder ihre kleidung richten, schwere aktenkoffer tragen, gefuellt mit geldscheinen oder abfall. nur das affengesicht kann er nicht abstreifen. die kiemen in der maske sind verklebt. sie muss sie oeffnen. an ihr vorbei treiben die wagen. gekochtes farbiges wasser laueft an den haeusern hinab. sie glaenzen so stark, dass keiner in den himmel schauen kann. es gibt dort nichts zu sehen.
eine gruppe kinder kommt aus einem schnellrestaurant. sie sind nicht von hier, denkt sie und sieht die abzeichen an ihren jacken. nur eine werbeaktion. flugzeuge werden mit hungernden gefuellt und in den staedten gefuettert. die gesichter sind starr, mit beruhigungsmitteln aufgeschwemmt. augen klein und grau. jetzt folgen die kameras und der grinsende clown, in den letzen jahren schon oft seinefarbe geaendert. ihr ist schlecht. sie zieht die maske ganz herunter. der schnee gefriert auf ihrer haut, dann will sie sitzen. dort.
das lenkrad dreht sich zu weit nach links. der fahrer steuert gegen. sein aufgeschwemmter koerper ist in die schale eingeklemmt. als der wagen kippt zieht er funkenschlagend eine spur unter sich her, schlaegt kuessend gegen die betonpfaehle. unter der spur , zwei frauen eingeklemmt, nichts weiter. nur noch flecke. die parallele hat zwei loecher in zwei koerper geschlagen, aus dem tank quillt die fluessigkeit genauso wie aus dem mann in der kabine. er lebt noch , als sie ihn verlaesst. auf dem asphalt gefrorenes gewebe, als waere eine turbine angestellt. spaeter atmen sie schwer als sie mit schaufeln die flachen koerper schnell verstecken. adrenalin wird ihnen zugefuehrt. der polizist der vorne steht, hat heute geburtstag.
sie hat zwei stunden gewartet. das herz ist in die richtige richtung gewandert. sie trommelt einen rhythmus auf die glaskacheln, auf denen sie sitzt. jetzt endlich kommt der stotterer, er hat einen schwungvollen gang. von weitem sieht er, wie er gaehnt. er sagt nicht gerne seine saetze. als er naeherkommt sieht sie seine schmutzige gesichtsmaske. lass sie bitte auf, draengt sie. sie kann sehen, wie er unter ihr laechelt. zwei sonnen sind ausgeschaltet worden. es ist dunkel und feucht. die silben aus seinem mund sind ihr gebet. wissen ist truegerisch. alle verhalten sich auffaellig, so kann niemand belangt werden. in der linken hand traegt er eine durchsichtige tuete mit pflanzensamen. er streut sie auf die betonflaechen. das stimmt nicht. sie schuettelt sich. er hat sie angefasst. deshalb hat sie halluzinationen. sie darf ihm nicht zunah kommen. sie bittet ihn seine handschuhe wieder anziehen. damit sie sicher sein kann. nonnen in braun spazieren vorbei. sie tragen aus religioesen gruenden keine masken, ihre haut ist grau. wasserstoff ist in der luft. sie hoert gebete zur postmoderne. es regnet wieder.fuer einen augenblick hat sie die messer, den mann vergessen. sie nimmt keine tabletten mehr. es gibt keine. morgen ist sie frei. dies ist meine zukunftsvision, die baeume sind mir egal. hauptsache es gibt luft und sei sie aus maschinen herausgeatmet. sie kratzt sich. der stotterer moechte die messer sehen, er ist begabt. sie schuettelt den kopf, zittert. nimmt einen schluck aus der wasserflasche, die sie gekauft hat. nur eine pause. der stotterer laechelt. er weiss , dass er nichts weiss. er ist ein moderner prometheus. es ist egal, da es keine ideale gibt. es wird zuviel gesprochen. hoehe toene folgen niedrigen. es ist eine frage der frequenz. keine katastrophenmeldungen mehr. kuesse sind erlaubt, auch das nachfragen. sie steht auf. der stotterer ist gegangen. wuesste sie geschichten aus der vergangenheit, so duerfte ihr die angst in den nacken kriechen. binaeres lachen. stickstofflaster fahren abends haeufiger. chemie, in und um die koerper. sie dehnt sich und spuert sich einen augenblick. hoffentlich hat er sie nicht lange angefasst. es laesst nach, sie biegt ab , sie kennt die strassen, weil sie im kreis geht. ich habe ihn doch zulange angefasst, ihre gedanken sind durcheinander.
wir haben ihnen eine schlinge um den hals gelegt. das mag sie auf den ersten blick erschrecken, aber so koennen wir alle sicher sein,dass sie stehenbleiben. dies ist kein verhoer. nennen sie es anders. wissen sie, wieso wir unsere institution so genannt haben? weil es doch der direkteste weg ist allen mitzuteilen, dass die zukunft schon verloren ist, laecherlich, in den haenden weniger. stoert sie der rauch? sie sind doch noch ein kind. los, gib ihm etwas mit dem stock.
sie moechte nicht nach hause gehen. ihr ist der raum fremd. es klopft an den waenden. man moechte den fernseher einschalten. kommunikation ist erwuenscht. sie fragt sich selbst, wieso sie die umgebung beschreibt. die finger zucken. die messer liegen auf dem tisch. es ist merkwuerdig, doch es gibt beinah keine kriminalitaet. hoer auf, sagt sie jetzt laut. dann legt sie sich schlafen.
sie laueft am 332sten tag ihre kilometer herunter. auf den exerzierplaetzen der stadt herrscht das militaer. die politik hat sich abgesetzt, ihre wagen sind farbenfroh. ihre stimmen moduliert. es ist eine deplazierte geste, da jeder blick in gefallsucht ertrinkt. hatte ich freunde? sie bleibt stehen und trinkt. heute ich, ist die luft kalt? ihr kopf schmerzt. sie hat grosse pupillen , sagt der kellner in dem cafe. position eins, sie schaut am nachmittag einen film ueber ertrinkende. zweieinhalbstunden. das popcorn ist gratis und salzig. ein bedarfsarbeiter kommt auf sie zu , er hat duenne arme und einen rasierten kopf. seine uniform ist nagelneu und stinkt nachfabrik und plastik. er ist freiwilliger sagt er und saugt die spucke durch die zaehne. er moechte mit ihr ausgehen. sie schaut nach einem informationsmast und meldet ihn der polizei. am abend wird er mit stoecken halb totgeschlagen. zuvor gibt ihr der zustaendige beamte einen zugangscode, damit sie dem geschehen elektronisch beiwohnen kann.
an den autobahnen, die aus der stadt in die naechste fuehren liegen die handelsgelaende. hohe containerstaedte. ihre waende sind aus blei, trotzdem kommen die menschen um an den matten oberflaechen zu lecken. sie probieren, ob man den dreck und den regen mit menschenkraft und ohne haende loesen kann.
war das eine schoene geschichte ? dann sei brav und geh schlafen. wir gehen noch aus. ruf uns an, wenn etwas nicht in ordnung sein sollte, wir schliessen unser erdloch mit wellblechpappe. du rufst an mit rauchzeichen. wir gehen zur containerstadt und machen unsere traeume wahr, verstehst du? wir bezwingen die realitaet dadurch, dass wir dies verwirklichen, selbst wenn wir die containerstaedte erst noch bauen muessen. und nun schlaf.
sie wacht auf und dreht sich auf die seite. an der decke laeuft der wetterbericht entlang. heute waehlt sie mit. sie ist fuer regen. gewitter. dann denke ich an nichts, das ist schoen. sie moechte jemanden kennenlernen. in ihrem roten anzug kann sie ihre maske sogar nur soweit schliessen, dass die augen natuerlich herausschauen. alles ein bisschen matt. sie stolpert beim tanzen. die programme bringen einen wochenueberblick, den sie ausstellt. es passiert. [pn]
Kategorie: erzaehlung
Schlagworte: dystopie
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