am laufsteg
`niemand ist anonym. heute kann man nicht nur die tagebuecher oder briefe eines menschen finden und veroeffentlichen, sondern auch die googlesuchanfragen auswerten.` kilik schraubt die thermoskanne wieder zu, bewegt dann seinen mund. `zusammen mit den mobiltelefonen, den satelliten , rfid-chips, nacktscanner, ec- und kreditkarten, videokameras. das gesamte system, mann. du verstehst schon.`er klopft sich selbst auf die schulter. `vierundachtzig ist da.` er reicht mir die crackpfeife. ich gehe in die hocke, klemme das jackett unter die achsel. der brenner entzuendet den rosa brocken. noch zehn sekunden aushalten. kilik setzt gerettet seine sonnenbrille auf. lebensenergie stroemt. wir sind fuer fuenfzehn minuten freunde unter kuenstlichen palmen. ich schaue zum graniteingang. dort, am rand der idole, greifen photographenblitze in den hellen tag. unsere begleiterinnen entdecken uns. sie winken bezaubert mit ihren handtaschen. unschluessig, ob sie ihre verachtung offen zeigen. ich ziehe mich an kilik nach oben, steige in das jackett. `ich will dort nicht rein.`meine lippen sind altes leder. kilik oeffnet ein silbernes kaugummipapier, um origami zu falten. nach drei schritten landet es auf dem asphalt. `wegen den schlampen?` ich sage ihm, dass ich nicht weiss, wer diese frauen sind. eine limousine schiebt sich in das sichtfeld. schwere tueren schliessen satt. trister jubel jetzt. rothaarige claquere ueberall. in meinem kopf wird eine wohnung frei. der makler ist selbst mir unangenehm. seine kriterien sind unerfuellbar. kilik zieht mich ueber die strasse. als ich jung war hatten die wagen noch ein eigengeraeusch. die hybriden sind beinah stumm. jeder unfall klingt elektronisch bearbeitet. das reifenquitschen bleibt. das glassplittern bleibt. die schreie bleiben. nur der motor ist lautlos. gegenwart und verwunderung vor der absperrung. kilik streitet absichtlich mit den tuerstehern, die knoepfe im ohr und handschuhe tragen. der wind legt roten saharasand auf ihre lederslipper. wieso muss immer ein schwarzer kosmopolitisch an der tuer stehen. zum glueck bin ich high. wir heben die arme. metalldetektor. kilik wirft die pfeife in die plastikschale. kein wimpernzucken. kilik irrt. heutzutage ist hoeflichkeit provokant.
ich versuche zu laecheln, sehe jedoch im bergkristallspiegel an der garderobe, dass mein steifes gesicht vielmehr abstossend wirkt. ich kann nicht ablegen, da schon das hemd schweissnass ist. kilik scannt das foyer nach edelschlampen, wie er sagt. in wirklichkeit steht er dicht an der franzoesischen tapete, um den druck der schulterblaetter daran zu fuehlen. er zeigt tief in das restaurant hinein, macht ein paar unverstaendliche gesten. ich habe laengst vergessen, was fuer ein fest dies ist. `meinst du, dass sie hier ist?` kiliks stimme faellt bei der frage. ich sage ihm, dass er sein drecksmaul halten soll. er lacht, klopft einen frankfurter applaus auf die armvene. er hat recht. wir brauchen einen neuen schuss.
unter den gaesten sind viele unbekannte netzsternchen, die durch das fegefeuer der medien gehen. fette lokalpolititker und operierte geschaeftsleute mit jungen flittchen an ihren seiten. ich presse daumen und zeigefinger in den traenenkanal. mein gehirn versucht silberne druckbilder in das augenschwarz zu stanzen. `komm schon. du verschreckst alle.` sagt kilik aus seinem wachsgesicht. wir ziehen engelsstaub auf der toilette. ich spucke in das waschbecken, als ein mann mit weissem schnauzer seinen smoking richtet. wortlos spuelt er mein blut mit seife in den abfluss. kilik steht angeschnitten am spiegelrand und photographiert uns drei. er feixt. der alte zeigt ihm beim gehen den mittelfinger. ich kann mich schwer konzentrieren. die jazzmusik irritiert. sie ist zu laut. ein dickes frisches handtuch wird mir von einem blinden toilettenbutler gereicht. mir gefaellt, dass er arbeit hier gefunden hat. fuer alle gibt es einen platz auf erden.
im restaurant schlage ich kiliks laecherliche zigarettenspitze auf den boden. das elfenbein zerbricht. er schaut mich fassungslos an, stottert etwas von klasse und alten filmen. minuten spaeter ist alles vergessen. beim essen klatscht kilik den knappbekleideten kellnerinnen mehrfach auf den arsch. ich versuche seine stimme zu daempfen, indem ich ihm staendig wein einschenken lasse. er fabuliert in seinen theorien, verschwindet darin. die datenverarbeitung der augen verbraucht einen grossteil der ressourcen im gehirn. gut, dass man eine person herausfiltern kann, sobald man sie etwas kennt. ich sehe die safrangelbe sonne im deckenlicht abdrehen. die stimmung wird durch leuchten in den waenden kuenstlich verstaerkt. in einem nebenraum choreographiert ein regisseur die abendveranstaltung. temperatur. musik. licht. alles. trotzdem hat das sicherheitspersonal uns im auge. im schlichten dienstcomputer wird unsere identitaet diskret kontrolliert. ich proste ihnen zu und pfeife eine dame heran. das benutzte glas stelle ich demonstrativ auf das tablett. genscan. noch ist alles eine harmlose freude. eine zeitlang koennen die stiernacken nichts machen, da eine tierschau alle durchgaenge blockiert. geschmueckte lamas und veraengstigte gazellen werden durch die reihen gefuehrt. aus dem grossen saal kann man einen elefanten hoeren. bis auf die wenigen kinder scheint es niemanden zu interessieren. das essen ist manieristisch, aber passabel. zu viele zutaten. gabel und messer quietschen trotzdem ueber die teller, als koennte damit sinn erzeugt werden. die leere hier ist betraechtlich. ich liebe das lebenstheater. einige tische weiter schmeissen russen glaeser hinter sich. ein sogenannter brauch. oberkellner deuten wie diktatoren in die szene. neue glaeser werden von unteren klassen gebracht, solange die russen werfen und dumpf lachen. kilik hat jetzt ein down. sein kopf ist zur brust gefallen.
ich lasse ihn ausruhen und gehe auf die terasse, um eine einfache zigarette zu rauchen. wie erwartet erkenne ich dort natascha selbst aus entfernung an der koerperhaltung. ihr professor steht weltmaennisch neben ihr. wahrscheinlich um seine komplette meinung aus dem mund zu scheissen. sofort bin ich nuechtern. ein farbloses paar geht an mir vorbei. er rempelt mich aus versehen an, entschuldigt sich. ich fahre aus der haut, will ihn packen, aber reisse mich zusammen. kurz will ich zurueck, um kilik zu wecken, damit er mich vor einer dummheit bewahrt. stattdessen bleibe ich einfach stehen, um ihr zuzuschauen. sie ist ein lieblingslied, nur schneller und jetzt mit anderer melodie. ich habe ploetzlich druck auf den ohren. schlucke mein spucke, wie beim flugzeugsteigen. der professor legt einen arm um sie. sie betrachten gemeinsam das feuerwerk. als ich darueber nachdenke, ob es eine trivialere situation geben kann, beginnen jongleuere ihre auffuehrung. sie soll anscheinend sogar ein thema haben. kopfschuttelnd gehe ich zur eisenbruestung herueber. ueberall unterhaltung. musik spielt hier per klangfeldsynthese, konzentriert auf einen punkt. an terminal sage ich dem computer , dass er die wipers spielen soll und schicke den klang am eisengelaender herunter. die hoerten wir vor dem krieg. als der song natascha erreicht, dreht sie sich um, waehrend der idiot weiter benommen zum himmel starrt. sie verdient etwas besseres. kilik ruft an. ich druecke ihn weg. ich bin nicht sicher, ob sie mich erkannt hat. das kleid steht ihr nicht besonders gut. es wirkt angezogen, nicht getragen. trotzdem ist sie wunderschoen. selbst unerwiderte liebe macht toericht und blind. ich trinke etwas bitteren orangensaft. endlich geht der verdammte professor zum windelwechseln. natascha beginnt vorsichtig zu tanzen. merkt sie nicht, dass ein gewicht von ihr faellt, wenn der typ verschwindet? ich zwinge mich alles herunterzuschlucken. frauen wollen sich einfach wohlfuehlen. ich habe ihr am ende angst gemacht. ich liebe selbst ihre bewegungen. sie wird nicht kommen, ich werde nicht hingehen. ich schaetze die entfernung. vielleicht fuenfundzwanzig meter. eine ganze welt. kilik meldet sich wieder. ich verabrede mich mit ihm an der bar.
die bedienung traegt ein geschmackloses kurzes kleid. wir trinken wodka aus eckigen glaesern. das erinnert kilik an bladerunner. er sagt, dass er einen roboter ficken wuerde. ich beneide ihn. er findet andauernd etwas, indem er sich verlieren kann. selbst fuer eine halbe stunde ergibt er sich der neugefundenen absoluten hingabe. er ist nuechtern genauso. menschen missverstehen drogen, die immer nur als verstaerker der vorhandenen qualitaeten arbeiten. in wirklichkeit ist alles droge und ablenkung. jede handlung hat eine folge. das sieht man an den fetten aerschen. schlechter bildung. heisse buegeleisen in ein kindergesicht. alles makabre verbrechen. kiliks augen sind perlmutt beschlagen.`ich kann dich verstehen.` anstatt auf meine schulter, schlaegt er mit der hand ins leere. er macht ein kung fu geraeusch dazu.
das personal hat sich umgezogen. merkwuerdige pfauenfederbesetzte kopfbedeckungen. gruene netzschleier vor den gesichtern, dazu scheppernde schellen um die arme gebunden. das saallicht ist dunkelblau heruntergedaempft. aus der ecke erklingt pianomusik siamesischer zwillinge. ich beschliesse offiziell das crack aufzugeben. eine englaenderin unterhaelt sich fluesternd mit kilik. bingo. sie scheint nichts gegen seine kontrolle zu haben, zeigt ihm ihren hals. kilik strahlt mich daemlich an. seine verletzung ist unuebersehbar. ich zucke mit den schultern. aus meiner perspektive waechst ihm eine zierpflanze in den kopf. jeder hat eine. was? verletzung. perspektive. pflanze. scheiss drauf. es ist nicht gesund zu viele stille selbstgespraeche zu fuehren. grosses finale. natascha laeuft im hintergrund vorbei. sie ist heller als alle anderen. ihr kleid verfaengt sich zwischen den stuehlen. ich ueberlege, ob ich dem professor spaeter eine gabel in den adamsapfel steche. waege die konsequenzen ab. wuerde sie das beeindrucken? ich schwanke noch. spuere bereits den widerstand beim herausziehen der gabelspitzen aus dem knorpel. das arschloch folgt ihr eilig. ich hoffe auf einen streit. menschen sind zu banal. ich nehme deshalb meinen wunsch zurueck. [pn]
Kategorie: erzaehlung
Schlagworte: geschlechterkampf
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