Alle texte in ‘fragment’



andreas ems in der ubahn

ems kann es erst nicht glauben, aber dann erkennt er, wie eine dicke jugendliche mit kapuze an der eingangstuer steht und ein rohes ei trinkt. sofort sieht er die huehner aus kaefighaltung, als sie die schale absetzt und kleine blasen schaumig aus dem loch schlagen. [pn]

andreas ems im baumarkt

E : ems
V1 & V2 : verkaeufer

ems sucht etwas, er steht bei den saegen.

E : haben sie eine mit kleinem, wie heisst es, zahn ?

V1 : warten sie, ich hole einen kollegen.

ems wartet, ein verkaeufer mit brille tritt an ihn heran.

E : mir wurde gesagt, dass ich mit dieser saege auch duenne eisenrohre schneiden kann ?

V2 : damit koennen sie selbst knochen saegen.

E : wie meinen sie das ?

V2 : robust. fuer 2.99.

E : sie wollten doch noch etwas sagen. wie koennen sie jetzt gehen? nachdem sie soetwas gesagt haben?

der verkaufer geht. manchmal verlaesst ems der mut.

[pn]

mary shelley

gross sind die lettern und schwer. dort liegen sie in den augen und machen diese muede. lassen sie krampfen. moechte man diese welt kennen? man muss, zerfahren, die hand blaettert willig zum feuilleton. hier ist es warm. ein noch nie gesehener film, ein noch nie gelesenes buch. verschwendung am sonntag, am montag. beflissen und starr die meinung, kopieren und nichts kapieren. das wissen zusammengesucht, frankensteins monster sieht daneben wie ein modell aus. [frankenstein ist der erschaffer und nicht das monster: fuer alle zeiten]. mary shelley schrieb den roman als erstaunlich junge frau, anfang des 19.jahrhunderts. mit ihrem mann war sie damals in der schweiz, wo der ehrwuerdige lord byron in einem schloss am kamin bei ihnen sass und sie aufgrund des schlechten wetters beschlossen sich gegenseitig gespenstergeschichten zu erzaehlen. [ein moderner mensch kann sich diese situation wahrscheinlich nur als postmodernes bild der vergangenheit vorstellen, wobei er wahrscheinlich zu viel ecos “ namen der rose “ [als film, versteht sich] und bilder von mozartgleichen gestalten in weissen peruecken mischt] shelley war so angetan von darwins kuerzlich erschienenen schriften ueber die evolution und der pittoresken verregneten landschaft, dass sie ihrem wissenschaftler einen deutschen namen verpasste und die urangst der menschen nach einem abloeseprodukt, dem mechanischen konkurrenten , in die moderne holte. [pn]

raum 31

ein zimmer mit blick nach aussen. die bewohner vermutlich zu hause, fahren mit den fingern an den kanten der moebel entlang, bis sie aufeinander stossen.

eine handschrift, die ich wiedererkenne, ein gesicht, das spuren hinterlaesst, haarstraehnen gegen die blaesse, mein grinsen starr und aufgemalt.

zahlenreihe und blick auf das papier, die entfernungen nur logische verkrampfung, so steigt man die kletterwand empor, angebunden an den boden, vermutet eine last auf den schultern, die sich tragen laesst.

[pn]

polizisten nur zur kommunikation

das flugzeug wird die stadt konkurrenz erreichen, klumpen von eis an den tragflaechen, vorher, besprueht mit violetter fluessigkeit, sauerstoffmaske mit gelbem mundstueck, verliebt in die flugbegleiterin, zerschellt in einer traube mensch, proportionen veraendert, hormone in ihrem koerper vermischt. stabile seitenlage. sie gibt ihre gene nicht freiwillig weiter. auf dem weizenfeld komplikationen, tretmuehlen und saatgut voll blei. lichtkranz, heiligenscheine, auffahren in den himmel, aus dem sie zuvor gefallen sind. unter der schwerkraft verteilt die anderen kraefte. sie helfen einander um sich danach zu verraten. [pn]

in der langeweile

protonenmusik, ohne halluzinogene geht nichts, nichts ueber uns hinaus, wir schreien vom balkon herunter, dass alle dumm sind. die nachbarin kommt und sagt, dass die tochter nicht schlafen kann. sie wird musikredakteurin werden. erneut hallen die tiefen toene und die hoehen schrauben sich aus den boxen, mitten fehlen, die sind maessig, zu verachten, ein pendant, dass verletzt, weil die erwartung nicht mit der wirklichkeit tanzen kann, nicht zu dieser musik. sie wird fehlen, vielleicht ist es besser so, statt metronom, fallendes, metrisches system,mit stolz fassen wir uns an die schulter,im treppenhaus, liegt eine fremde mit dem kopf nach unten, wi­r schlagen an die tuer, der bewohner will erwachen, schleicht durch den flur, wir schlafen miteinander, fremde, in einer situation, die fuer liebende gedacht ist, mit mir kann es passieren, dass man aufwacht und bemerkt, dass man schon lange einen fehler macht.
diesen erneut machen wird, sie fehlt, sie wird nicht kommen, aus dem du ist ein sie geworden, wahnleib, angst , dass der koerper aus glas besteht, wir setzen uns nieder mit vorsicht, an den waenden der gestank des alten, der gewalt, klingelnde geraeusche, das lied hoert auf , gott singt falsch, gehorcht uns fehlgeleitet, aus der klinge auf der klinge durch die klinge hindurch zum morgen, der feist und weiss begruesst, als wuerde er lachen, dass wir noch einen tag erleben wollen. [pn]

der mann, der nicht aufhoeren konnte zu

da gleitet die eine person hinweg, die hart und still ist und unnachgiebig, und eine andere person taucht auf, steht dann unter der dachschraege, beim schallwellenphoto, dort an der decke , wo alle mithoeren. kollaborateure, die auch mal in der zelle sitzen fuer fuenf minuten, bis die beine schlafen. [pn]

hauptbahnhof oslo

propeller rotieren ueber den koepfen, graue kuben, leicht geneigte rollbahnen, ebenenspiel, angenehme ruhe in der blaesse, wenig geschrei, keine spione, alle beobachten vorsichtig. wenige mauern, keine tuerme von denen geschossen wird. die kaelte hinterlaesst einen klaren kopf, zwingt zur bewegung, ermoeglicht sie, laesst einsamkeit euphorisch erscheinen, die nutzbar und lohnend ist. der rueckzug wird eine variable, die nichts ausschliesst. keine tosenden kaempfe, vielleicht stille. wortkarge freundlichkeit, die mancher mit einer luege verwechselt, weil er sentimental denkt. viel bedeutet bei ihm gewinnbringend. eine masslosigkeit, die grausam endet. [pn]

tag 22

soviele maedchen, die in schwarz gekleidet sind, ohne die farbe zu fuehlen. im nachhinein, das ist der punkt, der hervorzuheben ist. an der theke die staerke suchen mit heruntergekippten bieren, hastig, weil alle gegangen sind,sie besetzen die plaetze, werden immer juenger, immer unbekannter. [pn]

spinnenschwimmbad

ich habe es eben in der erde vergessen, es ist tag, die sonne ist aufgegangen. der mond war hell und blau, der himmel ein undichter dunkelsack. umgestuelpt, der hellstmoegliche tag, der postnukleare sommer. wir baden und reiben uns mit jod ein, jeder fuer sich. keiner kommt uns zu nah, wir sind stolz auf unsere differenzen, essen gemeinsam, lassen uns nicht lumpen. blutvergiessen, welch ein grosses wort. wieso die ecke aus billigem beton ? wir sehen in zeitlupe einzelne haare schweben, ehemalige zaehne, der kopf wird zurueckgerissen, schweigt einen moment, bricht aus, nach links oben, der nacken wippt nach, wirbel knirschen, als sei dies ihr willensakt, in diesem fall betreten wir die bahn und sind eingefahren auf roten schalensitzen, hier endet das bisschen menschlichkeit. [pn]

entlassungsurkunde

der instinkt, der taeuscht, ein laecheln mit offenem gesicht, du faehrst, ich fahre, ich weiss um das nein und halte die luft an, wo sie erst warm wird, dann gift. presse sie in den fluegeln zusammen, die flugunfaehig machen. heute abend werde ich erst ernst sein, dann erst um die eine und dann um die andere in gedanken herumschleichen, bis mir schwindlig wird. [pn]

rentnerphantasie

im garten, der blueht und gedeiht, sitzt ein alter mann auf einem stuhl. betrachtet die baeume, die aeste, die knochig in den himmel wachsen. er schneidet loecher in den zaun, damit die kinder leichter zu den fruechten gelangen, die man tollkirschen nennt. [pn]

im krankenhaus

die frau wird geoeffnet, der reissverschluss ist neu eingenaeht, die schlaeuche, gelbe kanaele, durch diese wird der mensch zum menschen, frisst, uebertragung von fluessigkeiten, angehoerige warten draussen im kunstlicht, augenbinden der zuversicht, nichts als schritte. ich frage eine krankenschwester nach bunten tabletten, sie fordert einen beleg, ich schreibe etwas auf, schon bin ich arzt und diener der wissenschaft, die erbaermlicher schatten bleibt.

[pn]

zivilisationskrankheit

wenn zahnschmerzen so unangenehm sind, wie fuehlt sich das verhungern an ? schwer und hohl werden die glieder, der gegorene schaum liegt um die mundwinkel. es ist anstrengend dabei zuzusehen. bastion um bastion, sie gehen an mir vorbei, sagt der tod und spuert die jugend, zieht sich, zieht die hand zurueck, von einer heissen herdplatte. vorangehen, er darf nur einen anteil nehmen, ist verzueckt, wenn menschen altern, fahrig werden. seine nahrung ist der spott und sein gewuerz der kummer. es gibt keine seele, um die er sich reissen muss. das warten macht ihm angst. fuer eine stille sekunde darf er die koerper in den armen halten, sich an ihnen waermen, bis sie ihm entgleiten. fuer jeden toten laesst er eine traene fallen, sie ziehen furchen in sein gesicht, wie wasser einen stein umspuelt. seine ewigkeit ist nur durch blitze aufgehellt, ein jeder griff nach einem leib kostet auch ihn willen und anstrengung. der tod ist bloss armer sklave, das quaelen und die schadenfreude bleiben auf der erde, diesseits bringen sie uns feuchte freude. er wird erst sterben und erloesung finden, wenn ihm nicht mehr kalt und keiner boshaft schreckt und messer wetzt, jetzt elektronisch, als maehr von frommen kriegen und befreiung. sobald ihm schlaege auf die augen entspannung liefern und die dunkelheit um ihn herum erst lindern, so kann er sehen in ein jedes gesicht, das gehen muss. er weiss recht wenig ueber seinen sinn, ist kein befreier. auch er schaut auf in seine schwaerze. sein groesster wunsch ist es zu halten und keine loecher mehr zu haben in umarmung, die nicht wiederkehrt. in einer bewegung, bei der kurz sein gemuet weich wird, glaubt er sich zu sehen. der tod wird betrogen, kann sich nicht fuehlen, wenn er an sich herabstreicht ist dort leere, er schaut nach vorn und weiss noch, dass die toten vor ihm geboren werden und gleich verschwinden, zeit und zustandslos. in jedem gesicht erkennt er sich, wartet hinter spiegeln, etraeumt sich dort die lebendigkeit.

[pn]

der guetige koenig

die konkubine ihrer majestaet fragt nicht nach problemen,
sie ist gefuegig, amuesiert den zuschauer durch schoenheit.
ihr augenausdruck ist beruflich. ihre anwesenheit ist eine pflicht.
der koenig pflegt ihr regelmaessig die haende zu brechen,
natuerlich nur, wenn sie wieder verheilt sind.
er mag das ungeschickte klappern der tasse,
wenn ihm der tee gebracht wird.

[pn]

08/15

was braucht es jetzt hier und heute, eine weitere doppelmoral? nein, doppelten boden. damit der fall nicht so eng ist und alles sich aussitzen laesst. es muss die geschichte noch triefen voll hoffnung oder voll stolzer duldsamkeit. dem kleinen mann gefaellt der kleine mann nicht, er moechte entfuehrt werden in einen anderen kreis. [pn]

dezember

mit diesen absichten kommst du nicht weit,
deine vorstellungen werden erfuellt,
die positionen falsch.
fremde beine und neugierde,
die angewohnheit zu viel zu sagen,
danach zu schweigen. das gegenueber alleine
zu lassen, wozu die instrumente stimmen,
wenn nicht gespielt wird ?

sie antwortet, nein, das leben sei kein spiel,
ich solle mich melden, wenn ich moechte.
dies ist die moderne variante des verrats.

[pn]

grundierung

es ensteht der eindruck,
dass alles niederfaellt,
was wir anheben.
nafta brennt.
rennfahrer brennt.
haus brennt.
die herztoene asche.
das waren fernsehbilder,
was sollen wir denken,
wenn wir durch einen
anderen rahmen
nach draussen schauen?

ich brauche ruhe,
die haltung macht muede .
magnesium entkrampft.
familien bekaempfen sich
durch stillstand,
andere zehren sich auf.

[pn]