Texte - 2008



muenchhausen-by-proxy

holzcity. im baumarkt vor den schrauben. ein skin mit fluoreszierendem headset spricht anscheinend mit seiner besseren haelfte. die stimme ist auffallend leise. `miss es bitte nochmal aus, schatz.` er stellt ein bein federnd auf die warenablage, laesst sie nachgeben. seine kopfhaut glaenzt nicht, sie wirkt matt und gepudert. abgeflachter hinterkopf. seine mutter hat ihn als baby nicht genug auf die seiten gedreht. ich fahre das regal dicht neben ihm ab. greife verpackungen heraus. im hintergrund ziehen kunden drahtkabel von der trommel, nehmen mass, kneifen gewuenschte laengen ab. der geruch im markt ist charakteristisch. jeder mitarbeiter hat bereits nach wochen kopfschmerzen. ich ueberhole den skin und hoere ihm jetzt mit dem ruecken zu. ein endlosvideo erklaert leierrnd duebelsorten, versperrt mir den telefoninhalt. sein schatz beginnt vielleicht zu weinen. `beruhig dich.` der tonfall des skins wird unertraeglich sanft. macht uns zuhoerer im gang befangen. selbst der abteilungsleiter, der hinzugetreten ist, zieht ein fragendes gesicht und verschwindet wieder.

als ich beginne das interesse zu verlieren, bricht ploetzlich das schraubenregal entzwei. fluegel, kaefig und hut-muttern. triwing, sechskant, phillipsschrauben. vierzig sorten stuerzen auf den abwaschbaren boden.

der skin und ich springen zurueck. eine kettenreaktion. regalwaende kippen von uns weg, legen sich schiebend gegeneinander. hobel und bohrmaschinen gleiten von ihnen ab. begraben ahnungslose unter sich. schreie mischen sich unter das stahlkonzert. die neonroehren fallen aus. ich fuehle, wie mich eisenwaren streifen. dann sehe ich das schwache licht an seinem schaedel. dankbar folge ich dem skin. lege mich geschmeidig in die kurven. reisse mir beim stolpern die kleidung auf. renne dem gluehwuermchen hinterher. es aendert sein tempo andauernd und boshaft. die regale fallen immernoch. dumpfe dunkelheit. menschen weinen um eingeklemmte koerperteile und zerdrueckte freunde. sie bedauern tiefe einschnitte. soetwas passiert doch nur im film und im ausland. in kasachstan zum beispiel. eine lautsprecherstimme bittet um das bewahren der ruhe. die folgende rueckkopplung laesst dutzende von armen synchron zu den ohren greifen. beissender geruch erreicht mich. feuerfarne wachsen an den wellblechwaenden. cobaltblauer plastikrauch legt sich als firnis auf die haut. lackverbrannte ohnmachtsangst. das headsetlicht versinkt. ich steige ueber menschenberge. fuehle haende an den hosenbeinen zerren. in panik wird gelacht.

draussen sirenen. hoffnung auf rettungswagen, wie kinder auf den eismann. hinlaufen. klimpernde groschen in der hand. auch wenn er nur drei aufgetaute sorten hat. es schmeckt, weil es anders ist. woher kommt dieses ploetzliche sommergefuehl? ich weiss nicht, ob ich noch in bewegung bin und muss an ambrose bierce denken. dann sehe ich das kleine licht doch noch. es scheint aufzusteigen, als haette der skin sich emporgeworfen. seine staerke aus der ernaehrung des helden. bier oder wasser. verschiedene wege zum selben ziel. alles eine aneinanderreihung. es wird mir zu bewusst. selbst auf der flucht finde ich zeit fuer widerspureche: ich lenke meinen koerper nicht geschickt genug. an einem berg aus umgeworfenen rasenmaehern muss ich halten. die klingen drehen sich hitzethermisch. unfaelle sind unsere luxuskriege, denke ich. wir ueberlebenden sammeln uns an dieser letzten barriere und schauen uns an, suchen nach loesungen und einem anfuehrer, der deutliche worte spricht. `ich habe damals ueber den elften september und seine bildgewalt gestaunt.`sagt eine frau weinend und unaufgefordert neben mir. `diese zu boden stuerzenden koerper mit angstkreisenden armen.`sie beisst achtlos ihre lippe auf. `als sei das fluegelschlagen ein ausdruck des lebens und nicht des sterbens.` zum ersten mal an diesem vormittag bin ich ueberrascht. [pn]

die vergroesserte spinne wird wahr und ersetzt das eingesetzte stereotyp

du erwartest wahrscheinlich etwas ueber dich zu hoeren, dabei habe heute ich in deinem namen nur ein programm gecrackt. ohne anleitung hexzahlen veraendert in meinem system. danach teure karten fuer ein konzert gekauft, zu dem wir nicht mehr gehen werden. 80 €. es wuerde dir gefallen. `und dann ? das ist nicht eindrucksvoll genug` hoere ich dich sagen. das wort `genug` wird von dir stoerrisch nachgeschoben. `da sind doch andere. ganze massen. schau dich doch um` du uebersiehst, dass es in dieser stadt nur eine handvoll menschen gibt. du sagst: `zeit nehme ich mir einfach. vielleicht fahre ich irgendwo mit dem flugzeug hin.` schliesslich fahren ballons doch auch. gilt das fuer kinderballons, die vom wind vertrieben werden, um in stromleitungen zu landen?schwarzweissbild. starker fritz lang. er braucht nur einen buchstaben fuer den titel. die verleiher haengen einen appendix dran. entscheidungen werden abgenommen. ich antworte darauf nicht. ich schaue es nur an. ich will, dass etwas in meinem herzen stirbt. ich erfuelle dir einen wunsch, damit du deinen kopf im zukuenftigen jetzt schuetteln kannst.

im bereits vergangenen jetzt drehe die haende auf fensterhoehe und stelle fest, dass ich mich taeglich an ihnen verletze. sie haben am wochenende moebel umgestellt, wie du sicher weisst. in dieser neuen gegend werfen die menschen ihre verwohnten gegenstaende einfach auf die strasse(n = oesterreichischer plural ). jugendlicher uebermut zerfleddert ihre restwuerde. es splittert spanplattenholz ueber den buergersteig. einsilbige plastiktueten mit alten kleidungstuecken sind an haeuserwaende gelehnt. es wird hastig mit seitenblicken sortiert. da ist derart viel scham und gier vermischt, dass ich den gangrhythmus verliere. kleidung in der natur irritiert mich immer. da steigt im nachrichtendeutsch eine schlimme annahme in mir auf. gibt es eigentlich das schlimmste ? bedeutung wird durch vergabe erst verteilt, nicht durch starres erleben. das ist zu breit erzaehlt. das kann doch kein mensch verstehen. du schuettelst fuer mich erneut unsichtbar den kopf. ich muss ja nicht explizit werden, schreibst du. keine satte sorge. ich werde es nicht sein.

tagsueber sehe ich den mond am himmel, nachts nicht. schaust du nach oben ? oder an die seiten ? im befreiungsschlag legst du scheuklappen an. kompromissbereitschaft aeussert sich in zu lautem lachen, einer ueberspitzten euphorie, einem staendigen zuviel. am saum der blinden hysterie befestigt, wie ein schulterpolster-yuppie in reiner erwartung des naechsten kicks. vorfreude auf droge und erfahrung, statt tatsaechlicher aktion. das deutsch geht mir bereits aus fuer die beschreibung der zustaende. es scheint sich soviel zu reimen, was sperrig bleiben sollte. der staat kuemmert sich auch. gruendet eine akademie nach der anderen. dort stroemen wir hin. erleben das altern in bewusster enttaeuschung. primitivo heisst auch ein wein. ein wenig konitinuitaet schadet nicht.

war frueher alles besser? du sagst es andauernd, auch wenn du in die zukunft schauen willst. wir sprachen einst darueber : die endrucksvollste praesenz des unbelebten ist immer bedrueckend. immer komplexer als das zitterrn eines stoffwechselkoerpers. unvergesslich. deshalb toetet ein holzkeil, eine kugel oder ein messer gieriger als eine hand, die kraft verliert. ein youtube-kommentar: „ich wuerde dich so derb schlagen, bis meine hand zerreisst.“ veraenderung ist gut, sagen die anderen. das stimmt fast. ein trost bleibt: ich habe das gedaechtnis eines traumakindes. die vergessen das entscheidende und schneiden es ab. sich selbst. andere. spaeter. telegramm. ende. [pn]

haus der trivial aufgehenden sonne

eric burdon sah fuer seine stimme damals zu jung aus. interessant wie asynchron ein mensch laufen kann. keine uhr kann das.
mit dreiundzwanzig jahren dachte burdon nicht : ich muss erst bei wikipedia nachschauen, ob das wort, dass ich gleich im gespraech benutze auch die definierte entsprechung des gefuehls dafuer ist. eric burdon musste nicht erst auf metaebene ueberlegen, ob ein derartiger gedanke eventuell ungesund sein koennte. ein dreiundzwanzigjaehriger heute fragt sich : wer ist eric burdon ?

ein britisches tablettenkind, dass eine pille schmeissen will am wochenende ? oder taeglich. eine eintagsfliege mit schlechten zaehnen? alles eine frage der routine – die gibt es auch in wirtschaftsklostern. elitenbildung auf der gegenueberliegenden strassenseite. . kritik ? suche nach gardemass in der leere in einem anderen stadtteil. hohlphrase : das geld ist guetig und tragisch zugleich. im geld sind alle gleich. wiederholungen sind langweilig. selbst wiederholungen von worten sind langweilig. wovon soll eigentlich was losgeloest werden? wer fragt das ?

der erzaehler oder die stimme im kopf im moment des lesens ? vorsicht vor selbstreferenzialitaeten. dies ist hypermodern. haiper sogar. wenn selbst galaxien voneinander abgestossen werden, wie dynamisch sind das unsere eigenen teilchen ? new age. old age. middle age. im alltag ist kein platz fuer tarot. gut so. auch unscharf die idee, wir seien energie und sternenstaub. keine linderung. viel religion ist viel krieg. lernen aus der geschichte? selbst der grundschullehrer schuettelt seinen kindern mit der freien hand den kopf, waehrend er im spiegel blaettert. hitler ist ein coverstar. breaking news : mein nachbar trennt nachts fischen mit einer stumpfen schere die koepfe ab. abbilden. vielleicht aufhoeren mit der fluechtigkeit? fuer einen moment wenigstens. falsche und richtige analsye sind kynismus. vielleicht wurde das immer schon so gemacht. denn : nur das aktuelle ist vollstaendig und attraktiv. diese kulturtechnik im koenigsplural als massenphantasma aufgeblasen – eine reproduktionsanstalt von sozioemotionalen schnittmengen. schoenheiten in uns erfinden. das fernsehen ist dabei in wahrheit die hoechste aller kuenste. inselbildung ist reine bereitstellung. was bedeutet dann integration von einzelnen subjekten in eine moderne gesellschaft ? anforderungen. steuergesetze. verbote und chancengleichstellungsausgleichsbehoerden.

in welchen homogenen behaelter wird inkorporiert ? welches konstrukt stellt die masse furchtlos und demonstrativ bereit ? ein leicht beschreibbares material eignet sich. grosse abwaschbare oberflaechen sind im einsatz. die strasse ist swingerclub. medien sind omnipotent, sagen deren macher. zitat : zum aufwaermen von kollektiven erinnerungen wird eine psychische mikrowelle benoetigt. ergo : das ego – staendig durchsichtig duch die fehlende trennung von oeffentlichem und privatem leben. der umstand wird gefeiert. diese an sich neutrale tatsache hat einen entscheidenen schwachpunkt : das kollektiv beginnt bereits bei zwei subjekten. alles ist hier so furchtbar schnell vollgemalt mit leichtfertigen schwuengen. ohne ueberlegung und ohne vorlage. nicht mit weichem bleistift – mit edding. die membran wird zusammengeknuellt und mangels alternativen wieder geoffnet. diese erdachte ultra-offenbarung, als bollwerk der letzten verdriesslichkeit, ist windiges refugium und aufenthaltsort fuer nur wenige generationen, die alle ihre eigenen revolutionen erleben wollen. bio-convenience-food. zeit und frustration wird gespart. der koerper ist maschinell und war es immer schon. nur sind diesmal die gewichtungen verschoben. die kopfprojektoren brennen jedoch knallend aus. geistige potenzschwaechen und leistungsschauen der exzession sind krankheitsbild der kippfreudigen ueberflussgesellschaft. das wissen um das naehern an den pointofnoreturn laueft parallel zum umkippen selbst. die darauf gerichtete aufmerksamkeit macht blind fuer das tatsaechliche uebersteigen der bruchgrenze. keine reflexion ueber die scheinbare regression, sondern beschwichtigungen sind zwingend notwendig :

der wunsch nach abstieg produziert erst den widerstand. arbeitsbeschaffungsmassnahme. eine aufklaererisch-romantische haltung kaempft mit papiertuechern gegen die loecher in der schiffswand durch die die beschleunigung selbst dringt. dieses fade und lustlose bild gibt sich die kulturindustrie selbst. es ist ihre letzte armee. sie trinkt die rasendsuesse betaeubung dankbar aus. als zuschauerpassagier schaukelt man selbst gerne von innen mit an, aus neid nicht teilzunehmen. zu verpassen. the good life ? besser loslassen. es wird schon zu viel geschrien. es muss aber nicht zwingenderweise schlechter werden.

“ 2008 ? “ denkt dann ein kopf. “ ging das nicht zu schnell ? ist das schon unsere zukunft ? “ einige wollen warten. oder wollten ? folge : die metaphorik muss erkalten und gleichzeitig ausreichend barock bleiben, um noch nahrungsquelle zu sein. ein drahtseilakt. [pn]

klassik mitdenken

du wischt dir jetzt deine lang gewachsenen haare mit gestreckten fingern aus der stirn. auf der anderen strassenseite legen drogenfahnder einen menschen zu boden. lederhandschuhe machen den kopf unbeweglich. plastikhandschuhe greifen unter eine kleine zunge. die finger stochern hinter die zaehne: frank, wo ist der andere marokkaner ? der zivilbeamte dreht beim rufen seine kniescheibe fester in die wirbelsaeule. polizistenschulterzucken. dabei tragen sie zuhaelterverkleidungen eines zdf-krimis. konstuemphantasien ehemaliger biologiestudentinnen. der bulle will jetzt mal abfrusten. sieht ja keiner. der kollege zwinkert schon.

du gaehnst fest. drueben kabelbinder. ich schaue an der gebaeudefassade hoch.

du sagst : aufraeumen alleine bringt aber nichts. das ist zu wenig. das musst du kapieren. saubere sachen sind ja ok, aber krieg mal erst besser den kopf sauber. das geht so nicht und wird nicht gehen. ich bin mir zu schade fuer

ich : fuer was ?

du drehst dich weg. rauchst du wieder ? ich habe es den ganzen abend nicht bemerkt.

ich : schade ? schade ??? ( pause ) fick dich. ( pause ) vergiss es.

ich gehe rueckwaerts, mache dramatische bewegungen. du ahmst mich nach. aus der ferne kann ich nicht erkennen ob du laechelst. ich nehme es an und flippe aus. trete die seitenflaechen der parkenden wagen mit den stahlkappen. bammm ! ein seitenspiegel splitter ab. selbst frank laesst kurz von seinem mikrodealer ab. er weist mit kaisershand in unsere richtung. zeitlupe. du gehst schritte auf mich zu, ueberlegst es dir anders und beginnst fortzulaufen. die letzten bilder liegen schraeg. ich spuere das vertraute knie. die hand im nacken. jemand schreit direkt in mein ohr : mainstream. du ekelst mich an. [pn]

rote fahne bei rtl2

nicht politisch, sondern im waschbecken. blutspucke und alkoholgestank. news. ein doppeldeckerbus faehrt vorbei. thomas koschwitz macht werbung fuer seine morgenshow. als aufkleber. manche leute sehen nach gewichtsabnahme wie krebskranke aus. sie waren zu lange als dicke bekannt. im netz lese ich spaeter, dass er 2002 einen schlaganfall hatte. so oeffentlich ist das gar nicht.

bei verdacht: nichts zu trinken geben. es besteht aspirationsgefahr, da das gehirn des betroffenen womoeglich den schluckvorgang nicht mehr steuern kann.

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das kopfnicken, das ich fuehle, ist mein eigenes

parkett 1

er geht am zaun entlang ,
streicht beilaeufig die haut einer fremden.
sie verzieht den mundwinkel
und schweigt in ihrer konvention.
wundert sich kaum,
aus welchem grund er den zaun beruehrt.

parkett 2

dem unglueck folgt der trost
und beginnt sich zu verformen.
im anfang liegt der wunsch nach zuneigung,
verliert sich in macht,
wie ein fremder in einer stadt
in der alle einheimischen lachen.

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stichstrecke

ubahn. rush hour. zwei arbeitskollegen(?) unterhalten sich :

sie : mein vater hat krebs.
er :meiner auch,darmkrebs.sie wussten nicht,ob der tumor boesartig ist.
sie : dann hat er doch so einen plastikdarm ?
er : ja.
sie : mein vater hat brustkrebs – als mann.

er steht, um auszusteigen.

sie : dann arbeite nicht so viel. schoenes wochende.
er : tschuess.

hier bleibt mir der apfel, den ich esse, im hals stecken.

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