Texte - 2007



die abschaffung des aufschreckens aus dem schlaf

womoeglich faellt bei jeder deiner drehungen im bett etwas fuer mich ab. vor dem abrutschen in ein daemmern des bewusstseins dachte ich an das photographieren. an die tatsache, dass wir uns die alptraeume bringen. in unseren umarmungen versuchen wir das zu finden, was uns allein vergoennt ist. die alte formulierung erscheint unzeitgemaess, die fuellung des satzes mit zwei zeitbestimmungen ebenso. in tatsachenberichten ueber beruehmtheiten wird neben dem geburtsort oft das sterbedatum mit dem vermerkt ebenda versehen, als sei die gezeigte person im selben ort umgefallen, an einer herzkrampfattacke oder altersmild in enten oder gaensefedern dort verstorben. bruecken in die vergangenheit sind blaue socken zu schwarzen schuhen, es knirscht beim anschauen, wie beim ueberschreiten. betrachte dich nicht, sonst vergisst du nur den text, fluestert eine stimme in mein ohr. ich kann nicht erkennen, ob sie mir wohlgesonnen ist. durch schoenheit erreicht laufe ich auf die andere seite, zwei arme verbogen dich festzuhalten, jeder schritt vibrationsquelle, du zitterst und wirfst dich leise schluchzend um. die decke ziehst du mit dir fort, wickelst dich und schraubst dich darin ein. stunden spaeter, da bin ich schon lange halbwach und in eile den zug zu erwischen, sehe ich folgende begebenheit: eine gruppe reisegepaeckbeladener frauen im mittleren alter. sie kreischen bei jedem wort ihr alleinsein heraus, als sei dieser aufruf eine seltsame art geworden ihre situation zu unterstreichen. sie verstecken sich im dialekt, verpassen ihre station.lachen auch darueber. wissen nie genau, wohin sie fahren und was sie hinnehmen wollen ohne wellen zu verursachen, lehnen sich an die haltegriffe ihrer koffer, ruhen sich aus. sind ja schliesslich auf reisen. sie reden nichts, erfahren untereinander nichts mehr, die nasen eingedrueckt. durch lautstaerke, die sie ausgelassenheit nennen,warten sie gesehen zu werden, oder ihre miniaturrucksaecke auf den ruecken. die gruppe steigt unter raedergeklapper aus, zerfaellt am abend. sie schlafen und schlafen ein. ich bin vielleicht auch nur zu einer merkwuerdigen figur in ihren traeumen geworden, trage jetzt alle attribute, die ich ihnen verpasste. beim aufwachen werde ich endlich. durst. du schiebst etwas atmend um zentimeter weiter, vier minuten liege ich da, kann mich befreien und schlafe kurz wieder ein, ohne folgen zu vermeiden oder zu bedauern. [pn]

scheren werfen

der sand klebt unter den nassen fusssohlen, er hat dreck in die wohnung gebracht. eine wohnsituation, sagt klara, du ziehst hier aus!sie will entschlossen wirken und erkennt nicht, das ihr gesicht entsetzlich leer ist. hans denkt sich: du neutrale. aber nur im stillen. er stellt das radio lauter, nickt und verzichtet auf den sportteil, den er nur liest, weil sein vater dies tat. menschlichkeit ist erziehungssache. hans sieht den vater kleinteilige bewegungen machen, vor allem nach dessen operation. kehlkopfkrebs, danach nur hochgeschlossene hemdkragen, als koennte ein erwachsener mann nicht feststellen wo sein hals endet. merkwuerdig sah der vater aus. hans telefoniert nur ungern nach hause, die scheppernde kastenstimme verzieht sich durch die leitung. unmoeglich staendig nachzufragen, da fuehlen sich doch beide teilnehmer bescheuert distanziert. um wuerdevoller sprechen zu lernen reicht es schon aus extensionen in die saetze einbauen. im kopf sitzt hans in der rhetorikschulung seiner firma. drei wochen noch, denkt hans und schiebt die eierschale auf das naechste tischdeckenkaro. klara schuettelt die teller in die spuele, ihr ruecken zeigt ihm, dass sie ueber die defekte programmautomatik der spuelmaschine veraergert ist.
der erste helfer im haushalt! hans greift sich an die finger, er hat die aufzaehlungen satt , die hierarchie der kuechengeraetschaften schon so haeufig gehoert. es gleicht einem abzaehlreim der nachbarskinder, die in der anliegenden allee herumirren, scheinbar spielen und dabei singen. frueher zog klara noch manchmal abwechselnd kleine und grosse augen beim vorbeifahren an den grossen fassaden, den repraesentativen vorgaerten und reklamefreien briefkaesten. die firmen trauen sich heute nichts, wegen der teuren anwaelte in wartestellung! hans lacht ueber das anwaltsproletariat. dort wird keine werbung eingeworfen. in seinem viertel quollen die buntverschnittenen prospekte foermlich in die freiheit. ausgestattet mit einem ueberlebenstrieb aus papier, menuefolgen billiger chinesen durch wind in die baumkronen gehaengt. die stadtteile brauchten keine einkommensstatistiken, das unterschiedliche gewicht der bedraengungsbotschaften reichte bereits. hans kann es sogar ohne feingestimmte briefwaage verstehen. er laesst die reste des fruehstuecks stehen, einen schluck in der tasse, ein angebissenes stueck brot auf dem brett. klara nimmt dies immer wie rache auf. sie drueckt mit der spitze der pumps auf den muelleimertritt und laesst aus unnatuerlicher hoehe essensreste in die blaue tuete stuerzen. sie schiebt immer nur mit der gabel nach, nie mit den fingern. [pn]

lasst euch alle aufs rotieren ein

man kann sich auch im trueben licht betrachten, denkt der mann und fasst sich zur sicherheit in sein kranichgesicht. lassen sie die kleidung ruhig an, sagt er und hebt das kinn, als wuerde sein kopf nach vorne fallen. ich sollte jetzt nicht muede sein, sagt er, gerade laut genug, dass ihn die prostituierte hoert. sie hat die beine nicht uebereinander geschlagen, doch der kranichmann verspuert keinen reiz. er hat durst. die frau unterbricht ihn: wollen sie mir einen namen geben? sie haben schon fuer eine stunde bezahlt und glauben sie mir, ich muss nicht gerettet werden. von ihrer sorte kommen jede woche zwei.

im raum, der schuhkastenfoermig den schall schluckt und nur platz fuer das bett und eine kleine kommode laesst, wird es still. der elektrische strom selbst ist hoerbar, in den waenden klopfen andere sich den frust aus ihren koerpern, leiten ihn in fremde knochen. du bist meine tochter, sagt der mann beim aufstehen, die bettkante lehnt sich zurueck. die frau kann jetzt sehen, dass er eine ganz schmale nase traegt, kurz und bescheiden. als er weiterspricht glaubt sie erst an eine luege, an den witz eines perversen. seine unlust ist dafuer zu echt. sie wusste, dass sie adoptiert wurde und bei fremden aufgewachsen ist. die waren gut zu ihr, aber immer still. immer leise, dass sie in den raeumen der elterlichen wohnung – stiefeltern, unterbricht sie der kranich, stiefeltern – sie verbessert sich und bejaht , waehrend sie im abgetrennten nassbereich die eigene gesichtsform abgleicht. ihr faellt erneut nur diese stille ein, die dumm und hohl war. als kleines maedchen musste sie deshalb schon zwingend laut sein. wurde ermahnt in dieser gruft zu leben, beruehrt nur von badezimmerkacheln, vom besteck mit langen griffen oder den gelben teetassen. in der hand lag nichts, staendig begleitet vom blick der zaudernden und immer verschreckten mutter, die tagelang im bett gelegen hat, als anabelle dann spaeter weglief. laut war sie beim hinaustreten aus der korktuer, die gewalt der geraeuschkulisse in dieser nacht beschlug ihr dicht die trommelfelle.

ich kenne dein leben nicht, sagt der mann, kann dir auch nichts geben, weil ich selbst nichts habe. wir koennen an der ecke einen kaffee trinken, im bratendunst, mit stoerenden anderen, die uns die begegnung zermalmen wollen. sich im gedaechtnis einbrennen, durch ihre grobheit. staendig zum ueberstreichen unserer vorsichtigen bilder bereit, da sie sehen, dass unser schluck vom becher, dein blick, meine armbewegung und unser atemzug unwiederholbar sind. im licht wirst du sehen, dass ich anders bin und gleichzeitig nicht besser als jeder andere mensch auf deiner bordsteinkante.

als es an der tuer klopft wissen beide nicht in welcher reihenfolge sie gesprochen haben. ergaenzt und ein wenig gluecklich sich wenigstens in dieser haelfte zu begreifen, bewahren die worte anabelle davor mit dem vater zu gehen, den raum wirklich zu verlassen. stattdessen blickt sie in den papiergefuellten abfalleimer.

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den mund erschrocken ueber dem hals zu bedecken faellt leicht, als der nieselregen einsetzt, der krankenwagen um die ecke biegt, an der sichtkante auftaucht, den passanten gleich, deren temperamente an der gangart nach wetterlage erkennbar sind. gaffer suchen sich augenblicklich unter den regenschirmen zusammen, die jetzt spontan geteilt werden. lohnenswert der schlechte atem dicht im nacken. spritzwasser von ellenbogen, das jacken dunkel faerbt, solange am umgestuerzten fahrrad die speichen sich noch drehen. das vorschieben zoegerlich, umstellt die menschentraube die personen am boden. jeder notarzt muss diesen ring durchbrechen, tonlos, da der fluchtreflex oft ausreicht. die rote weste warnend mit den utensilien bestueckt, aerztekoffer daran, mit armen und eilenden beinen, hinter denen die trage folgt zur blutenden frau mit verdrehtem bein und kind, blassgelegen. durch die menschenkette ohne lichter, hinein in den innenhof der betrachtung. am schauplatz werden positionen besetzt. selbst bei unglueck greift ein katalog an handlungen, offizielle dirigieren unter rueckenstoessen. wie eine zurueckgezogene welle sammelt die stroemung auch unbeteiligte auf. dankbarkeit fuer sichtbares. der arzt sagt nach zahlen und medizinerlatein einen satz, auf den alle warten: hochschauen zum eintreffenden hubschrauber! er landet sanft. gleichzeitiges festhalten der sommerhuete, vulgaeres hochreissen der roecke. im regen faehrt die kamera asymmetrisch zurueck, legt in der totalen den blick auf die umherliegenden haeuser und felder frei, um blaulichtvermischt im regenvorhang zu verschwinden. dort gibt es interessanteres, als einen fahrradunfall ohne helm. das kind ueberlebt. was der arzt jedoch zum zustand der verdrehten frau sagt ist bereits unhoerbar und undeutlich genug zum abwenden. [pn]